Ende April 2003. In Bagdad ist das Echo der Schüsse noch nicht verhallt. In Brüssel treffen sich vier EU-Staaten zu einem Mini-Gipfel zur Stärkung der Europäischen Verteidigungspolitik. Antiamerikanische Medienshow oder Geburt einer EU-Armee? Die Initiative beweist dass die fünfzig Jahre alte Idee der Verteidigungsunion die Irakkrise überlebt hat. Das Ziel, die militärischen Fähigkeiten der EU-Länder zu integrieren, soll aber auch die Frage der demokratischen Legitimation einer vergemeintschafteten Außen- und Sicherheitspolitik in den Vordergrund rücken.

Wenn Europa ein ernsthafter Partner für die USA sein will, muss es eine Supermacht werden und zwar eine zivile Supermacht. Unsere Stärke im Feld der Außenpolitik ist nicht militärisch. Wenn wir von "Verteidigungsunion" reden, heißt das in keinem Fall, Europa solle in gleicher Weise wie die demokratischen Imperalisten in Washington bewaffnet in die Welt ziehen, um seine Interessen zu vertreten und anderen seine Überzeugungen aufzudrücken. Aus seiner eigenen Geschichte hat Europa gelernt wie man mit Überzeugungskraft und wirtschaftlicher Zusammenarbeit oder wirtschaftlichem Druck oft mehr erreicht als manu militari. Konfliktverhütung gehört in Europa schon längst nicht mehr zum „grünen Utopia“, sondern wurde 2001 vom Europäischen Rat als „eines der Hauptziele der Außenbeziehungen der Union“ bezeichnet.

Die europäische Kakophonie während der Irakkrise hat viele dazu verlockt, das Ende jeglicher weiteren Vergemeinschaftung der europäischen Außenpolitik vorherzusagen. Man muss sich aber bewusst machen, daß der Fall Irak auf einer Skala des Schwierigkeitsgrades für außenpolitische Problemfälle von 1 bis 10 wohl auf die Stufe 10 käme. Gleichzeitig beweist die EU in Mazedonien, daß sie sehr wohl in der Lage ist Konfliktverhütung zu betreiben, mit einem vernünftigen Mix ziviler und militärischer Mittel.

Es gibt also mehr als den Irak. „Der Grund für den Zeitpunkt liegt nicht in der nahen Vergangenheit, sondern in der nahen Zukunft: das Fälligkeitsdatum des Europakonvents,“ erklärte der belgische Premierminister Verhofstadt zum "Warum" des jüngsten Verteidigungsgipfels. In der Tat müssen die Konventsmitglieder bald ihr Endprodukt abliefern, während viele Fragen zur gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik noch offen sind.

Freilich is dabei die wichtige Frage der militärische Mittel doch weniger grundlegend als die Frage, wie die EU in Zukunft geschlossen agieren kann. Manche befürworten eine Art Direktorium in Sachen Außenpolitik – nur Frankreich, Deutschland und Großbrittannien träfen die Entscheidungen oder hätten das Vetorecht. Das können und dürfen die kleineren Mitgliedstaaten nicht hinnehmen. Bei Außenpolitik handelt es sich nur ausnahmsweise um umfangreiches militärisches Eingreifen, das sich ohne die drei Großen nicht durchsetzen lässt. In 90 Prozent der Fälle geht es dagegen um langfristige Politiken, bei denen es unangebracht wäre, wenn nicht alle mitreden könnten. Und mit „alle“ sind nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch die Bevölkerung und ihre gewählten Vertreter gemeint. Wie könnte man eine Politik als „europäisch“ legitimieren, über die nur drei oder sogar zwei nationalen Parlamenten – Bundestag und Unterhaus - Rechenschaft gegeben wird?

Wenn also das Vetorecht verschwinden soll, muss dies für alle Mitgliedstaaten gelten. Der Verlust an nationaler parlamentarischen Kontrolle kann nur auf EU-Ebene zurückgewonnen werden.

Die Idee eines „EU-Außenministers“ hat zu Recht breite Unterstützung bekommen. In den jetzigen Vorschlägen des Konventspräsidiums aber hätte dieser als einziger Minister in Europa keinerlei parlamentarische Rechenschaft abzulegen. Die Entparlamentarisierung eines so sensibelen Politikfeldes wäre bestürzend. Wer denkt, dass es reicht wenn die nationalen Parlamente immerhin über Truppenentsendungen entscheiden, tritt in die Falle des (Anti-)Militarismus. Auch für die effektive Anwendung der nichtmilitärischen Instrumenten, die Kriege verhindern können, ist parlamentarische Kontrolle unentbehrlich.

Europäische und nationale Außenminister dürften sich nicht hintereinander und hinter der Vertraulichkeit ihrer Beratungen verstecken. Die EU kann nur dann Lehren ziehen aus ihre künftigen Erfolgen und Fehlern, wenn diese öffentlich verantwortet werden im Europaparlament. Auf diese Mindestmaß an Transparenz haben die EU-Bürger Anspruch. Haben sie nich gerade bei der Irakkrise bewiesen, einmütiger zu sein als ihre Regierungen?